De Gerardo

Video Installtion De Gerardo on 3 screens, DVD. Video Tank. Zürich, Germany - 2009.

Von Gerardo (2008), une vidéo-essai d‘Ingrid Wildi
Par Briana Berg

« Vivre librement, ça ne s’achète pas », dit Gerardo, un artiste chilien qui a choisi de travail- ler comme portraitiste des rues pour conserver sa liberté d’action dans une société qu’il qualifie de durement capitaliste. « L’humanité est devenue assez étrangère à elle-même pour réussir à vivre sa propre destruction comme une jouissance esthétique de premier ordre. » Le protagoniste de la nouvelle vidéo-essai d’Ingrid Wildi se plaît à citer Walter Benjamin. Von Gerardo (2008), c’est à la fois “A propos de Gerardo” et ce sont les propos de Gerardo; la pertinence des réflexions philosophiques de ce personnage étonnant font la force du nouvel opus d’Ingrid Wildi sur la migration. Son travail artistique, toujours basé sur l’adéquation entre le fond et la forme, part cette fois de l’écrit, qu’elle façonne à son habitude par fragmentation et remontage. Dans Von Gerardo, le sujet pointe les effets pervers du capitalisme : migration, solitude, manque de solidarité interindividuelle, dépression. Marqué par le vécu de son frère cadet dont l’émigration aux USA puis en Allemagne « est l’histoire d’une longue solitude dans laquelle [celui-ci] ne se reconnaît pas », le Chilien évoque une perte généralisée des repères identitaires au-delà des phénomènes migratoires. Affecté par la dénaturation et les demi- vérités renvoyées par les médias, l’individu finit par ne plus voir son reflet dans le miroir que lui tend la société : « il s’est créé une culture globalisée, [dans laquelle] nous ne nous reconnaissons plus. »

 





Gerardo pose ainsi les bases du rapport entre l’image de soi, la société et la migration. Sur ce matériau, Ingrid Wildi emploie une technique particulière de montage qui est une des marques de son travail et l’articule au sein d’un dispositif signifiant. Dans Von Gerardo, elle se base sur un échange de mails en lieu et place d’images filmées, comme pour signifier l’impossibilité d’obtenir ces dernières, une impossibilité économique et géographique di- rectement liée à la migration. A cette distanciation elle oppose un rapprochement, celui de la phrase écrite, elle-même obtenue via Internet, une représentation de cette interconnecti- vité du monde actuel qui a pris la place des relations de proximité et de solidarité. L’artiste isole des blocs de phrases, et réassemble ces unités de sens entre elles par association et rupture, faisant systématiquement retour sur les points essentiels du message qu’elle cons- truit à partir des mots de Gerardo. L’histoire ainsi tissée par Ingrid Wildi émerge petit à petit à travers les reliaisons du montage qui poussent le spectateur à assembler les morceaux et combler les interstices. Du peintre, le spectateur ne saisit que des bribes de pensées et d’expériences à partir desquels il se construit une image, un collage entre fiction et réalité. Von Gerardo donne ainsi à voir un reflet de Gerardo parmi de nombreux autres reflets pos- sibles, un effet de la migration parmi de nombreux autres effets, mais aussi les liens entre différents vécus migratoires.
Comme dans les autres vidéo-essais de l’artiste, le dispositif mis en place dans Von Gerardo est à la fois simple et puissant. En l’absence de toute image, l’impact du dispositif se doit d’être particulièrement fort. Les phrases écrites par Gerardo apparaissent en blanc, au centre d’un écran noir, dans une police qui évoque celle de la machine à écrire, renvoyant à un autre temps, à une autre forme de communication et de relation. La taille réduite des caractères focalise l’attention du spectateur, de même que le rythme soutenu des phrases égrainées l’une après l’autre, une phrase à la fois. Le défilement des lignes blanches sur fond noir, comme des fulgurances, capture le spectateur. La force des propos, associée à ce dispositif hypnagogique, fait pénétrer celui-ci dans l’univers du protagoniste. Les « trous » ou interstices de l’information activent la reconstitution imaginaire de la personne par une image mentale et surtout, en la dotant d’une voix. En dissociant la voix, sonore et figurative, l’image et la présence, Ingrid Wildi donne à voir sous une forme nouvelle la rupture identi- taire issue de la migration et de l’évolution de la société contemporaine.



installation views aqui

Dislozierte Subjekte

„Ich heisse Gerardo...
und bin einer der wenigen Freunde von Hans hier in Chile.
Als Malerkünstler war ich in der Plaza de Armas in Santiago tätig.
Nun, mit drei Kindern,
von denen eines Politikwissenschaften an der Universität studiert,
muss ich in der Werbebranche arbeiten.
Dein Video-Essay – wie du es selber nennst – hat mich beeindruckt.
Dein Bruder ist in der gleichen Situation wie mein jüngerer Bruder.
Er lebt in Deutschland von der Arbeitslosenunterstützung,
hat keine Kinder, ist skeptisch, ätzend, steht unter Drogen.
Er will dennoch nicht nach Chile zurückkehren.“

Diese Sätze markieren den Anfang von Ingrid Wildis neu für den Videotank konzipierten Installation „De Gerardo“ (2008-09). Sie besteht aus drei Monitoren, die Weiss auf Schwarz und zeitlich verschoben, Gerardos Sätze einblenden. Rhythmisch pulsierend erscheinen sie eher als Bild denn als linearer Text. Jeder Part dauert neun Minuten, dann beginnt er wieder von vorne. Derjenige, der hier spricht, hat in einer Galerie in Santiago de Chile Ingrid Wildis Videoessay „Portrait Oblique“ (2006) gesehen und entschloss sich darauf, die in der Schweiz lebende Künstlerin zu kontaktieren. Über die Kontinente und Zeiten hinweg entspann sich eine email-Korrespondenz, aus der Ingrid Wildi verschiedene Sentenzen Gerardos kompilierte und zu einer neuen Arbeit fügte; eine Arbeit, die „Portrait Oblique“ – Wildis Interview mit ihrem randständigen Bruder – buchstäblich weiterschreibt: Während dort der Bruder in Bild und Wort zu sehen und zu hören war und uns in seiner körperlichen Evidenz zu beeindrucken und somit ein anderes Bild von Obdachlosigkeit zu geben vermochte, pulsiert hier reiner Text, ohne Bild und ohne Ton: Gerardo ist weisser Textkörper geworden, lokalisiert im medialen Irgendwo, im schwarzen Anderswo, im dunklen, feuchten Untergrund von Zürich. Unten.

Auch Gerardos Stimme kommt von unten, so wie die von Hans Rudolf – Ingrid Wildis Bruder – und den vielen anderen MigrantInnen, die Wildi im Zug ihrer Videorecherchen interviewt hat. Es sind Menschen, die der Künstlerin nahe sind; sei es durch Verwandt- und Freundschaft, sei es dadurch, dass sie sich über ihre Herkunft, ihr Leben und ihre Position am unteren Ende einer ausbeuterischen Welt Gedanken machen. Sie alle werden als Menschen gezeigt, die zwar keine ExpertInnen sind, die sich jedoch, komplex und intelligent, der Komplexität des Lebens stellen. Es sind Menschen von unten, die um’s Überleben kämpfen und die, wie auch Gerardo, der es eigentlich geschafft zu haben scheint, eine Borderline-Existenz führen. Es sind immer „dislozierte Subjekte“, die sich im Zustand äusserer oder, wie Gerardo, innerer Emigration befinden.

Ingrid Wildis gesamte Arbeit handelt, wie sie selbst sagt, von „Dislokation“ – ein räumlich-psychisch-politischer Zustand, der nicht nur derjenige der Künstlerin selbst ist, sondern derjenige der Globalisierung schlechthin. Und wie Gerardo mit seinen jüdischen Wurzeln sagt, auch ein historischer. Die Dislokation ist bei Ingrid Wildi nicht nur inhaltlich verhandeltes Thema, sondern wird auch über verschiedene ästhetische Strategien subtil in Szene gesetzt. In jedem ihrer Videos geschieht es auf eine etwas andere Weise. In „Von Gerardo“ kann man vorläufig sechs spezifische Momente aufzählen, die das Dislozierte ästhetisch erfahrbar machen:

Da ist erstens das vielfach gebrochene Textgebilde selbst, das von Hans Rudolf Wildi, Gerardos Brüdern und letztlich auch von ihm selbst handelt. Dann ist da zweitens die Reduktion auf blossen, visuell lesbaren Text, dessen pulsierendes Ein- und Ausblenden ihn eher als Bild denn als Text zur Erscheinung bringt. Drittens besteht der gesamte Text zwar aus kohärenten Sätzen, sie erscheinen in ihrer Abfolge aber eher assoziativ und müssten nicht zwingend in der vorgeschlagenen Reihenfolge gelesen werden. Dieser Aspekt des Herumschweifens wird durch die asynchrone Konstellation der drei Monitore noch verstärkt. Das scheinbar assoziative Sprechen Gerardos (tatsächlich handelt es sich um kunstvoll zusammengeschnittene emails!) erinnert an das Erzählen eines Traums bzw. an das Sprechen in einer Psychoanalyse, in welcher sich das Unbewusste mittels logischen Sprüngen und verdichteten Wörtern seinen Weg ins Bewusstsein schafft. Ein solches Sprechen, das Jacques Lacan auch „parole vide“ genannt hat, sagt nicht immer genau das, was es meint. Vielmehr steckt Bedeutung auch in den Lücken und Leerstellen, im nur dunkel oder wie nebenbei Gesagten. Viertens zerreisst die asynchron geschaltete 3-Kanal-Konstellation den einen Text in drei parallel ablaufende Parts. Diese suggerieren, dass es die eine Geschichte nicht gibt, sondern nur als Variablen und Progressionen jener uralten Form der Diaspora, von der Gerardo spricht.

Ausserdem entsteht der Eindruck, als ob jedes Individuum gleichzeitig auf zahlreiche Vorgänger, Nachfolger und „Paralleltäter“ verteilt sei. Diese Ent-Individualisierung und Variabilität wird fünftens durch die visuelle Leerstelle verstärkt, die uns kein sicht- und identifizierbares Individuum vorführt. Obwohl Gerardo einfühlsam und bewegend spricht, geht er als Person verloren, wird er viele.
Dieses Moment macht deutlich, dass die Geschichte Gerardos nicht nur die seines jüngeren Bruders oder von Ingrid Wildis Bruder ist, sondern auch seine eigene sowie die von Ingrid Wildi auch. Die Vereinzelung und Einsamkeit, die aus den einzelnen Geschichten und ihrer Ent-Individualisierung spricht, hebt sich somit auch wieder auf und scheint eine Form von Kollektivität anzusprechen, die sich über mehrere Leben und Generationen hindurch bildet. Die Tatsache, dass Wildi diese Sätze gesammelt hat, ist unter anderem ein Indiz für diese Art verstreuter, geteilter Kollektivität. Diese neue Art von kollektiver Erfahrung und von überindividueller Vernetzung setzt Wildi sechstens dadurch in Szene, dass sie nicht die eine grosse Geschichte der Dislokation (oder Diaspora) erzählt, sondern dass sie die mehrere Lebensgeschichten streifenden Sätze eines Einzelnen (Individuums) im Video versammelt. Geschichte und Gesellschaftsanalyse erscheint somit als Narration von unten, als verbales Durchqueren einer globalen Verkennung: „Da ist diese globalisierte Kultur entstanden, aber der Spiegel reflektiert sich nicht selber. Wir verkennen uns noch mehr“, sagt Gerardo.

Diese kritische und scheinbar pessimistische Äusserung wird paradoxerweise durch die Arbeit, die er sich mit seinen emails an Ingrid Wildi macht, aufgehoben. Der Text, der in „Von Gerardo“ nicht geschrieben steht, könnten wir dann vielleicht so lesen: Wenn es eine Hoffnung gibt, in dieser, unseren globalen Verkennung und Ratlosigkeit, dann besteht sie darin, dass wir uns genau damit auseinander zu setzen versuchen. Wenn Gerardo und Ingrid Wildi und wir, die wir diese Sätze lesen, etwas gemeinsam haben, dann ist es dieser Versuch, die Dislokationen von unten zu benennen und dem schwarzen Loch des Vergessens zu entreissen.

Yvonne Volkart