Entrevista desde la carcel, la voz dislocada

Video an Audio installation in CELLA "Estructura de la marginalización y disciplinamiento"
Roma, Italy 2009



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Papiere

Was thematisieren die Arbeiten von Ingrid Wildi? Die Grenzen in der Kunst sowie im Zivilstaat bzw. das organische Vermögen, Geschichten betreffend die zivile Entmächtigung entstehen zu lassen. Als Brecht seine Flüchtlingschroniken (1939) verfaßte, behauptete er, dass der Reisepaß für einen Menschen am wichtigsten sei. Er wartete jeden Tag in nächster Nähe von einer Grenze auf seine Mitbürger, wollte sie sehen wie sie die Grenze übergingen und sie nach Nachrichten fragen. Wahrscheinlich hat Brecht die Suprematie der Papiere im Zeitalter der politisierten Bürokratie versiegelt. Der Kerker ist ein Gerät zur Abmessung der juristischen Dauer der Strafe. Wo eine solche Anstalt zum kulturellen Zentrum bzw. zur Maschine zum Zwecke der Kontrolle der gefährdeten Völkergruppen wird, verteilt sie die Auflösung der Prägnanz des Ortes und verortet die Kerkerfuntion, wobei der Institution selber die Funktionen der Politik der Behausung auferlegt werden.

Brecht war nicht nur der Sohn eines Papierpruduzenten, er nahm die Eintragung von Personalien vor, als symbolhafte Geste der Kritik der Theaterrepräsentation. Ingrid Wildi, eine Künstlerin chilenischer Herkunft, die aber in der Schweiz lebt und arbeitet, hat sich mit Personalien sowie Elementen ausgestattet, um Geschichten des Verlassens des eigenen Herkunftsortes sowie der Wanderung von Personen zu rekonstruiren, die keine Möglichkeit haben, den freien/legalen Eintratt in ein Land zu erzielen. Aus diesem Grund hat sie sich in erster Linie mit der Realisation von Dokumentarfilmen über Wandernde/Migranten oder in wechselhaften/unstabilen Orten stationierte Menschen beschäftigt.

Weil sie den Vorrang der Theorie sowie der Praxis der Stimme von außerhalb zu betonen beabsichtigt, hat sie im Foyer des ehemaligen Minderjährigenkerkers Rom ein Gerät zur Sprachenunterscheidung (in Entsprechung mit den den den Leuten zugeschriebenen Personalien) gesetzt. Es handelt sich dabei um Personen, die daraus eine Erzählung der unmöglichen Habilitierung machen. Am Eingang zu zögern heißt, sich der Drohung dessen zu entziehen, was auf der anderen Seite (nämlich auf den Papieren) steht.

Bekannterweise ist das Motiv des Tores/der Tür sehr alt. Sie öffnet sich zum Unbestimmten und in diesem Falle zu einer Lektüre der Lebensumstände der Personen, die kraft des Gesetzes der Freizügigkeit entzogen worden sind. Was die Struktur des Werkes betrifft, liest ein Rundfunktakteur eine endlose Liste von alphabetisch geordneten Namen von Gefängnissen vor. Die Lektüre einer solchen Litanei definiert die Zuständigkeit des Ortes und schützt vor dem Verlassensein. Zugleich sind die Simmen von Beamten vom Zivildienst bzw. von Verantwortlichen für pathologische Fälle zu hören, die von “den anderen” sprechen, von denen, die kein Image haben.
Wer sind diese “anderen”? Sie sind die Personen, von denen man ausschließlich wegen Identifizierungsfragen spricht, die keine Papiere haben bzw. Unterlagen, die es erlauben ihren Körper in Verbindung zu ihrem Namen zu bringen: Die Stimme von außerhalb ist zweifach: Einerseits ergibt sich aufgrund der vorschobenen Stimme ein Abwesenheitssinn; andererseits hört man wegen der toponimischen Sättigung auf, den Ort als solchen wahrzunehmen. Alle diese Orte auszusagen ist gleich keinen Ort zu erwähnen.

Justo Pastor Mellado
Santiago del Chile, September 2009.



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